Für zehn Jungen und Mädchen der neunten Klassen des Gymnasiums Netphen standen Ende August für eine ganze Schulwoche anstelle der üblichen Fächer „Aktives Zuhören“, „Ich-Botschaften-formulieren“ und „Bedürfnisarten entschlüsseln“ auf dem Stundenplan, und das aus gutem Grund: Die Streitschlichtung der Schule hatte zur zweiten Ausbildungsrunde geladen.
Nachdem bereits im vergangenen Schuljahr Mediatoren für ihre Mitschüler im Einsatz waren und dabei gut zu tun hatten, sollte in diesem Schuljahr nachgelegt werden. Kompetent begleitet von den „alten Hasen“ aus dem vergangenen Jahr galt es, die nächste Generation fit zu machen für den Einsatz in den konfliktreichen Niederungen des Schulalltags, welche in zahlreichen Rollenspielen nachgebildet wurden. Mal ging es dabei um eskalierende „Spaßkämpfe“ auf dem Schulhof, ein anderes Mal wurden Hausaufgaben ungefragt abgeschrieben und wüste Beleidigungen ausgetauscht. Auch mit gespielter Frauenfeindlichkeit und rassistischen Beschimpfungen bekamen es die angehenden Schlichter zu tun, so dass nicht nur die hochsommerlichen Temperaturen die Anwesenden gehörig ins Schwitzen brachten.
Je anspruchsvoller ein Fall daherkam, desto deutlicher setzte sich die Erkenntnis durch: Allein das „Abarbeiten“ von Phrasen führt nicht zum Ziel. Um den „Eisberg“ aus Missverständnissen und alten Wunden, unbefriedigten Bedürfnissen und verletzten Gefühlen, welche sich unter einem sichtbaren Streit verbergen können, auch wirklich aus dem Wasser zu heben, braucht es Einfühlungsvermögen, den Blick auf das Wesentliche, kluge Moderationstechniken sowie ein gesundes Maß an Durchsetzungsfähigkeit: Fähigkeiten, die die Teilnehmer bereits mitbrachten und in verschiedenen Übungen noch nachschärfen konnten.
Und was passiert, wenn am Ende alles nichts hilft und auch die besten Interventionstechniken und Angebote zu Perspektivwechseln nicht weiterführen? Nun, das kann passieren. Vielleicht war die Bereitschaft zur friedlichen Konfliktlösung nicht in ausreichendem Maße vorhanden? Um Frustration auf Seiten der Mediatoren vorzubeugen, ist das Kennenlernen der Grenzen der Streitschlichtung ein notwendiger Teil der Ausbildung. Die Streitschlichtung kann lediglich ein Angebot machen – von Schülern für Schüler. Für den Erfolg bzw. Misserfolg tragen hingegen die Streitparteien die Verantwortung. Lassen sie sich auf die Mediation ein, können beide Seiten viel gewinnen – und am Ende beide als Sieger den Tisch verlassen.
„Warum wollt ihr gerne Streitschlichter werden?“ wurden die Schüler*innen zu Beginn ihrer Ausbildung gefragt. „Wir wollen mithelfen, Freundschaften zu retten“, war eine häufig gegebene Antwort.
Bei diesem hehren Ziel wünscht das Gymnasium Netphen den frischausgebildeten Streitschlichtern gutes Gelingen und gratuliert ihnen zur erfolgreichen Ausbildung!
M. Schultes