Mohr. Karl und Franz Mohr. Seit 1781 schon geistert dieses ungleiche Geschwisterpaar durch die Literatur- und Bühnengeschichte. Das Schiller’sche Aufklärungsdrama thematisiert die Rivalität zweier hochwohlgeborener Brüder: Auf der einen Seite der von seinem Vater geliebte, intelligente und freiheitsliebende Karl, der später zum Räuber wird, auf der anderen Seite sein kalt berechnender, unter Liebesentzug leidender Bruder Franz, der auf Karl eifersüchtig ist und das Erbe seines Vaters an sich reißen will.
Aber: Sind dieser uralte Konflikt zwischen Verstand und Gefühl sowie das zentrale Thema – nämlich das Verhältnis von Gesetz und Freiheit – heute noch aktuell?
Eindeutig ja, befindet der Zuschauer am Ende eines Abends, der das Stück unter der Überschrift „Räuber. Aufruhr.“ in einer deutlich aktualisierten Fassung auf der Bühne des Gymnasiums Netphen sowie ein tosend applaudierendes Publikum im Anschluss gesehen hat.
Die Räuber sind mit der Zeit gegangen: Hier hat der freiheitsliebende Karl eine Schwester, Franziska, genannt Franzi, die sich modern gibt, aber ähnlich finstere Pläne verfolgt wie ihr historisches Vorbild. Und die sich dabei durchaus flexibel zeigt, was ihre Liebschaften angeht.
Karl derweil ist längst kein simpler Räuber mehr; der gelangweilte Student sieht sich angesichts von Kapitalismus-, Klima- und Gerechtigkeitskrisen genötigt, seine Truppe in den Untergrund zu führen, um von dort mit aufsehenerregenden Aktionen gegen die vermeintlich schreiende Ungerechtigkeit der Welt anzugehen – Gruppen wie die „Letzte Generation“ oder „Extinction Rebellion“ lassen grüßen.
In seiner Radikalität angefeuert von einem weiblichen Spiegelberg, entfernt sich Karl dabei immer weiter von seiner eigentlich doch so geliebten Amalia, die sich zwischenzeitlich ersatzweise von Schwester Franzi umgarnt findet. Doch natürlich – wie sollte es auch anders sein – steht am Ende die Läuterung und Karl findet zurück. Zurück zur Vernunft, zurück nach Hause – und zurück zu seiner Amalia.
Eine zunächst ziemlich verwickelte Geschichte also, inszeniert von der Theater AG des Gymnasiums Netphen unter der Leitung von Katharina Goubeaud und Guilia Gendolla. Und was die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler da inmitten eines zeitgenössisch reduzierten Bühnenbildes zum Leben erweckten, war ein mehr als beeindruckendes Auf und Ab, ein verbales Hauen und Stechen, bedacht auf den eigenen Vorteil, ein Ringen um den rechten Weg, ein Hoffen und Verzweifeln, ein Hassen und ein Lieben, das das Publikum im ausverkauften Forum sichtlich in seinen Bann schlug. Vor allem Evelyn Obermaisser und Janis Ax als ungleiches Geschwisterpaar liefern eine hinreißende Darstellung. Mit großen Gesten schreiten sie über die Bühne, deklamieren, brüllen, geifern, flüstern. Karl verlässt auch schon mal rennend den Saal, wenn er sich mit seiner Truppe eine Schlacht mit der Polizei zu liefern gedenkt.
Aber auch Mia Mayleen Schröder als Amalia und Julia Schorge als Hermine können in der Verzweiflung ihrer Figuren überzeugen. Daneben sorgt eine Vielzahl waschechter Follower in Karls „fight for fun“-Truppe und Franzis Support-Circle für sprühende Lebendigkeit auf der Bühne.
Nicht umsonst zeigte sich Marc-Alexander Heilmann, der als stellvertretender Schulleiter am Ende allen Beteiligten unter donnerndem Applaus dankte, sichtlich ergriffen von der enormen Gesamtleistung dieses Ensembles und aller weiteren an der Produktion Beteiligten.
Wer nicht dabei war, hat also etwas verpasst. Gut, dass das Stück am Dienstag, dem 08. Oktober 2024, ab 18:30, in einer Zusatzvorstellung (nur Abendkasse) noch einmal wiederholt wird.